Sonntag, 19. Juli 2009

Zugfahren in Indien

Freitag, 17. Juli
zwischen Nord- und Suedmumbai

Um mir bei der Polizei meine Aufenthaltsgenehmigung abzuholen befinde ich mich nun das erste Mal in einem indischen Zug. Dicht an dicht gedrängt sitze ich zwischen meiner Gastmutter und dem vergitterten Fenster. Es gibt weder Glasscheiben noch Türen. Wenn ich herausschaue, kann ich einen Zipfel des Saris sehen, dessen Trägerin sich, noch während der Zug anfuhr, einen Platz halb in, halb außerhalb des Zuges erkämpfte.
Ich sitze im Frauenabteil. Es gibt mit großer Sicherheit keine Farbe und kaum eine Farbkombination, die eine Inderin nicht tragen würde. Die meisten haben einen aufgemalten oder -geklebten Punkt auf der Stirn und klimpern mit ihrem goldenen Schmuck. Selten sieht man rot gefärbtes Haar; helles Haar ist (alte Leute und mich mal ausgenommen), nur bei Touristen im Süden Mumbais zu sehen. Dafür gibt es Shiks mit Turbanen, Frauen und Männer, die schwere Krüge auf den Köpfen balancieren und Schuhe in allen Formen und Farben – hauptsache luftig.
Langsam bekomme ich eine vage Vorstellung davon, wie Armut ausehen muss. Es ist beschämend, wie ich über die Wohnung meiner Gastfamilie gedacht habe, als ich dort ankam. Wir wohnen im zweiten Stock. Die Zimmer sind klein (außer meines, in dem normalerweise meine Gastbrüder schlafen. Jetzt übernachten sie auf einer aufklappbaren Couch im Wohn- und Arbeitszimmer), es gibt eine Toilette, dazu Toilettenpapier (!), die Dusche ist im gleichen Zimmer und besteht lediglich aus einem Duschkopf. Weder eine Tür noch ein Duschvorhang ist vorhanden, sodass man auf so engem Raum bei jedem Duschen auf sein Handtuch achten muss, damit es nicht nass wird. Hände waschen kann man auf dem Gang. Die Küche ist etwas größer, natürlich mit einem reservierten Platz für kleine Figürchen und Bildern, die mindestens einmal am Tag mit teuren Gewürzen betupft werden. Das Schlafzimmer der Eltern vervollständigt die Wohnung.
Was mich zuerst etwas abschreckte, war der Dreck in der Stadt. Den prüfenden Bilck meiner (deutschen) Mutter im Gedächtnis, der nach der Puzeinheit durch die Bad Kreuznacher Wohnung schweift, kam mir hier alles ziemlich verschmutzt vor, sodass ich versuchte, so wenig wie eben möglich zu berühren. Mittlerweile habe ich mich soweit angepasst, dass ich bei unerwünschten Insekten auch selbst Hand anlegen kann. Zum Glück ist das nicht allzu oft notwendig, bisher habe ich eine Kakerlake und drei Ohrenkneifer auf dem Gewissen (Fliegen zählen nicht).
Wenn ich mir im Vergleich zu meiner Unterkunft also die mit Plastikfetzen überdachten Baracken ansehe, an denen wir vorbeifahren, wird es mir doch recht mulmig (ganz zu schweigen von den Sammelstellen auf Abstellgleisen, auf denen die Leute nur von einer Brücke vor Niederschlag geschützt sind).
Dort leben also Menschen wie du und ich... Überall liegt Müll. Was passiert wenn es ernsthaft regnet? Was machen sie mit Ungeziefer? Und fließendes Wasser??

Ich trete den Rückweg leider ohne den ersuchten Schein an. Es fehlt ein aktuelles Formular meines zukünftigen Colleges und ein Passbild, auf dem meine Ohren sichtbar sind. Dafür habe ich etwas von Süd-Mumbai gesehen: das Hohe Gericht „High Court“, die University Of Mumbai, die Railway Station und das Taj Mahal Hotel (inzwischen wieder vollständig restauriert), das Prince of Wales Museum (danach war meine Aufnahmefähigkeit erstmal am Ende, aber es war angenehm kühl) und das Meer! Meine Augen erblickten das erste Mal den Indischen Ozean.
Wir (Pradjumna, Shamla, ich) kehrten in ein Schnellrestaurant ein, das mich etwas ans Café Zürich erinnerte. Ein Lassi und etwas Reisähnliches mit scharfer Soße brachten meinen Kreislauf wieder auf die Sprünge und so ließen wir uns per Taxi zur Zugstation chauffieren.
Zu Hause werde ich hoffentlich etwas Zeit haben, mich auszuruhen.

1 Kommentar:

  1. Danke, dass du auch über die unschönen Seiten berichtest. Du wirst anscheinend mehr mit der Armut konfrontiert, als der Jan, wenn ich das richtig sehe. Aber vielleicht kannst du dadurch auch mehr für dich mitnehmen...

    Mal Ganz was anderes: Woher holst du dir denn jetzt das ß und die Umlaute?

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Rotary-Austauschschülerin nach Mumbai