Donnerstag, 27. August 2009

Ganpati

Mittwoch, 26. August 2009



Mumbai funkelt, glitzert, leuchtet in allen erdenklichen Farben und Ganesha, der Gott mit dem Elefantenkopf, ist nun in jeder Straße und gewiss auch in den Wohnungen zu finden: Es ist das Fest Ganpati. Arm und reich feiern den Gott, der die Stolpersteine auf jedermanns Weg zu Erfolg oder dem persönlichen Lebensziel beseitigen soll.

Aber wie kommt er zu dieser Art von Kopf?


Im Hinduismus glaubt man, wie auch im Christentum, an eine Dreieinigkeit: Brahma, der Schöpfer, Vishnu (auch Krishna genannt), der Beschützer und Mahesh, der Zerstörer. Nach der Legende war dieser letzte mit Parvati verheiratet. Als sie schwanger wurde, ging Mahesh auf eine langjährige Reise. Noch während seiner Abwesenheit gebar Parvati einen Sohn und nannte ihn Ganesha. Schon als kleiner Junge lernte er, seine Mutter und Kailash, ihre Höhle im Himalayas, zu beschützen. Auf Befehl der Mutter hielt er Wache vor dem Eingang und ließ niemanden herein, unglücklicherweise machte er auch für seinen eigenen Vater keine Ausnahme, als er eines Tages von seiner Reise zurückkam. Mahesh wurde so zornig, dass ihm der Eintritt zu seinem eigenen Haus verwehrt wurde, dass er seinen Sohn, ohne ihn als diesen zu erkennen, kurzerhand köpfte. Wie das mit einem Dreizack, Mahesh' Markenzeichen, möglich war, versteht niemand so recht, und doch ist es wichtig, dass der Kopf im Flug einen weiten Weg zurücklegte. Parvati freute sich natürlich über die Rückkehr ihres Mannes, war aber bestürzt, als sie die Leiche ihres Sohnes sah. Sie erklärte Mahesh, wen er gerade umgebracht hat und befahl ihm, den Kopf wiederzubringen. Nach langer, erfolgloser Suche kehrte Mahesh statt dessen mit einem Elefantenkopf wieder, der so zu Ganeshas Markenzeichen wurde.


Ganpati wird hier so gefeiert wie Ostern in Deutschland. Den Samstag verbrachten Adriana und ich damit, meiner Gastmutter in der Küche zu helfen. Wir rührten eine scharfe Creme an, schmierten große „Alu“-blätter damit ein oder halfen bei der Zubereitung von süßem Chapati (Puranpoli). Auch wenn wir nicht von den Speisen kosten durften – die Gäste müssen den ersten Bissen nehmen – war dies eine überaus interessante und spaßige Arbeit, verglichen mit dem anstrengenden Schreiben im College.

Viele der Zutaten hatten mein Gastbruder Aniruddha und ich den Tag zuvor eingekauft. Die Straßen waren schon geschmückt mit Girlanden und Lichterketten, durch die Abgase hindurch duftete es nach Räucherstäbchen und Süßem. Die Läden waren proppenvoll – dies muss die Hochzeit aller Händler sein! Die Kunden lassen sich weder von der Lautstärke noch von dem Gedrängel innerhalb und vor dem Geschäft abschrecken und stolpern im besten Fall mit vollen Einkaufstüten, geschwitzt aber glücklich, aus dem Getummel heraus.


Am Sonntagmorgen, nachdem das Idol und all das andere Silber poliert worden war, zog Ganesha in die Wohnung ein. Die Figur wurde von meinem Gastbruder in die Wohnung getragen und mit Pulver und Reis begrüßt bevor sie in ihren Tempel wandert. Da meine Gatfamilie andere Familien und Bekannte dazu eingeladen hatte, während der ersten Tage Festzeit mal in unserer Wohnung vorbeizuschauen, hatten wir natürlich einen Haustempel. Es ist ein Gebilde aus Plastik, das mit bunter Farbe und Glitzer besprüht ist. Nach Deutschem Verständnis macht er einen etwas kitschigen Eindruck, Inder freuen sich dagegen umso mehr daran, wenn er zusätzlich mit Blumen und blinkenden Lichterketten geschmückt wird.

Dem Einzug folgt eine Pooja, diesmal von meinem Gastgroßvater Dada und Aniruddha ausgeübt. Diese war nicht viel anders als die des Badhji und Aniket, von der ich schon berichtet habe, nur wurden die Texte abgelesen und das Ritual dauerte nur zwei statt vier Stunden. Das unregelmäßige Blinken der Lichterkette auf dem Dach des Tempels, vor dem die Pooja stattfand, schien niemanden zu stören und auch die Familie des Bruders meiner Gastmutter, die währenddessen eintrudelte, kam nicht etwa zu einem unpassenden Zeitpunkt: Umso lauter war der Lobgesang (Aarti) gleich im Anschluss an die Pooja. Zwar sind die Gesänge nicht sehr melodiös, aber rhythmisch, sodass ich mit Summen und Klatschen einen Teil zur Aarti beitragen konnte. Geht man in dieser Woche durch die Straßen, so kann man aus vielen Wohnungen das Klatschen und Glöckchen hören und weiß: Dort wird auch Ganpati gefeiert! Schätzungsweise jede vierte Indische Familie lädt zu sich in die Wohnung ein, einige für zwei Tage, so wie meine Gastfamilie, andere für fünf oder gar zehn Tage.


Sonntag und Montag kamen also allerlei Bekannte und Verwandte auch in unsere Wohnung. Zu diesem Anlass trug ich zum ersten Mal meinen Sari! Obwohl dadurch ein Teil meines Rückens und der Bauchbereich frei waren und mine Gastmutter den Stoff, aus einem Stück bestehend, nur recht locker gebunden hatte, war mir doch unglaublich heiß. Außerdem war die dazugehörige kurze Bluse so eng, dass ich kaum durchatmen konnte. Im Gegenzug erntete ich viele gut gemeinte Komplimente: „You look like an Indian Barbie doll“ war eines davon.

In erster Linie ist der Besuch natürlich Ganesha zu Ehren: Jeder Besucher zieht wie immer schon im Flur die Schuhe aus, hält nach Eintritt in die Wohnung einen Moment vor dem Tempel inne und legt mitgebrachte Früchte, Nüsse, Blumen oder auch Geld Ganesha zu Füßen. Nun erhält jeder Gast einen Tropfen Milch mit Zucker und Fett vermischt in die rechte Hand, später eine Süßigkeit namens Peda. Doch nicht genug: In der Küche wird jedem Gast ein Pappteller mit einer Auswahl an Snacks zusammengestellt, die nur ungern abgelehnt werden. Besonders in den letzten Tagen, an denen meine Gastfamilie und ich andere Familien besuchten, war es schwer, den fettigen oder süßen Kleinigkeiten fernzubleiben ohne die Hausfrau zu enttäuschen.


Die Gäste kommen und gehen. Sehen und Gesehen werden, Smalltalk und einladendes Lächeln können nach zwei Tagen doch recht anstrengend werden, sodass ich trotz der erlebnisreichen Zeit auch ganz erleichtert war, als die letzte Pooja stattfand und Ganesha seinen Tempel wieder verließ und in den Schrank zurückwanderte. Dies ist allerdings kein normales Ende der Festzeit: Ganeshas aus Plastik oder sogar ökofreundlichem Material werden traditionell im Meer oder in nahe gelegenen Seen versenkt.

Hierzu tragen in Wohninseln viele Familien ihre Idole zusammen und stellen sie zu der größeren, besonders reich geschmückten Figur, vor der sich die ganze Wohngemeinschaft versammelt und feiert. Von Trommeln und Gesang begleitet laufen (oder tanzen) die Familien zum nächstgelegenen Gewässer. Dort wird jede Figur einzeln versenkt: Ein Mann nimmt die Figur entgegen und taucht dreimal von Kopf bis Fuß mit ihr unter, taucht wieder auf, bis er beim vierten Mal ohne sie wieder erscheint. Ein kleines Stück der Figur (Klea) gibt er der Familie zurück und wird im Gegenzug mit einigen Rupien entlohnt.

Das größte Event dieser Festwoche ist das Versenken der fünf bis sechs Meter großen Ganeshas am zehnten Tag, dem 3. September. Der Strand ist so voll, dass sich die Leute wohl wirklich gegenseitig auf die Füße treten, um einen Blick auf die Statuen zu erhaschen. Mir wird erzählt, dass die Statuen wie beim Deutschen Karneval die Straßen entlanggefahren werden, dazu soll es Musik und Tanz geben. Ich freue mich schon drauf!

Schnäppchenjagd

Dienstag, 25. August 2009

Mumbai Süd


Heute habe ich die Indischen Händler kennengelernt, oder vielleicht besser andersrum? Beim Treffen mit einigen anderen Inbounds in Mumbai Süd habe ich zwei Ketten, ein Kleid und ein Oberteil für 500 Rupien erstanden, das entspricht ca. 7.50 € – daran kann ich mich gewöhnen! Ich muss mir nur etwas einfallen lassen, wie ich meine Ansammlungen nach einem Jahr nach Deutschland verfrachten will, wenn mich Lufthansa nur einen 20kg schweren Koffer mitnehmen lässt...

Freitag, 14. August 2009

Krishnas Geburtstag

Donerstag, 13. August 2009
Mulund West


Heute vor einem Monat bin ich angekommen! Den Abend dieses Tages verbrachte ich bei Adriana (Inbound aus Mexico) und ihrer Gastfamilie bestehend aus Gastmutter, -vater, -bruder und -großmutter. Ihre Gastschwester ist letzte Woche ebenfalls als Rotary-Austauschschülerin nach Mexiko geflogen, hat Adriana aber vorher all ihren Freundinnen aus der Wohninsel vorgestellt. Nun kenne ich auch einige davon – wir spielten einige Runden „Uno“, plauderten über den Austausch und übersetzten einige hilfreiche Sätze von Englisch in Hindi und von Hindi ins Spanische. „Khaane ka theeka mat banao“ ist einer davon: „Please don't make the food spicy“.
Es gab ein ausgiebiges Abendessen, obwohl wir immer wieder betonten, wir seien noch satt vom Mittagssen. (Was würden sie bloß mit uns machen, wenn sie unsere Bäuche knurren hörten??) Gegen 23 Uhr, als Adriana und ich uns schon bald bettfein machen wollten, begann ihre Gastmutter von einer Feier zu Ehren Krishnas zu reden. Dieser Gott mit einer Querflöte, seinem Markenzeichen, hat nämlich am 14. August Geburtstag.
Wir gingen nicht etwa in einen Tempel oder ein anderes Gotteshaus, wir wechselten nur das Stockwerk. Wir erreichten mit dem Aufzug den „9th floor“; schon ab dem sechsten jedoch hörten wir die Trommeln und mit Mikrofon verstärkten Gesänge. Welch eine Lautstärke mitten in der Nacht in einem Haus, in dem so viele Menschen so dicht beieinander wohnen! Zum Glück gibt es in Indien kein Ordnungsamt.
Im Flur vor der Wohnung, in der die Feier stattfand, lagen bestimmt 50 Paar Schuhe. Dementsprechend voll war es in der reich geschmückten Wohnzimmer: Es hingen Blumengirlanden, Glitzergirlanden und Lichterketten knapp unter den Ventilatoren unter der Decke, ein großer Luftballon baumelte von einem Regal und eine Krishna-Porzellanfigur nahm den zentralen Platz auf der Kommode ein, auf dem ansonsten bestimmt der nun in die Ecke geschobene Flachbildfernseher steht. Die vielen orange-, gelb- und pinkfarbenen Blumenketten um sich, war Krishna kaum noch zu sehen. Die bunteste Raumdekoration waren jedoch die Sarees aller anwesenden Frauen. Die meisen saßen auf dem Boden, einige ältere Frauen teilten sich den Platz auf dem Sofa. Von Erdtönen bis hin zu Azurblau über Purpur und Neongelb – jede Farbe hätte sich finden lassen. Zwischen den vielen Frauen sprangen Kinder umher, ihnen war die späte Uhrzeit im Gegensatz zu mir kein Bisschen anzumerken. Auch Männer und Jugendliche fanden sich in der Menge. Sie saßen weiter vorne, auch auf dem Fußboden, und machten Musik. Ein Keyboard mit Zittersound, viele Schlaginstrumente und die Vibratostimmen der Sänger und Sängerinnen ließen ab 23.45 Uhr die ersten Reihen tanzen. Alle anderen sangen mit oder klatschten im Takt. In einer kurzen Singpause klingelte auf einmal das Telefon und ein Schmunzeln ging durch die Runde. Auch in einer normalen Wohnung kann ein Gottesdienst stattfinden, sodass man sich bald wie in einer (...) fühlt.
Um Mitternacht wurde die Musik noch einmal besonders „forte“. Die Neonleuchten wurden ausgeknipst, sodass nur noch die Lichterketten und die Öllampen um die Götterfigur herumplatziert Licht gaben. Ein Räucherstäbchen wurde angezündet und an den Luftballon gehalten, der mit einem lauten Peng! zerplatzte. Alle standen auf, viele sprachen Gebete oder opferten der Götterfigur weitere Blumen, Gewürze, Geld.
Gegen 00.15 Uhr ging das Licht wieder an und es wurde weitergesungen, geklatscht, gefeiert. Angesichts unserer vom Klatschen schmerzenden Hände versicherte uns Adrianas Gastmutter, wir würden in fünf Minuten aufbrechen. Zum Glück konnte ich bei Adriana übernachten, denn bis die Feier zu Ende war zogen sich die fünf Minuten eine halbe Stunde lang. Jeder bekam eine Art süßen Kartoffelbrei mit salzigen, weichgekochten Erbsen in Plastikschälchen und Plastikbecher mit lauwarmer Milch, darin Nüsse und Trockenfrüchte in die Hand gedrückt. Danach ging es schleunigst und mit protestierendem Magen ins Bett.
Adriana und ich waren so betäubt von dem erlebnisreichen Tag, dass wir die Ratte im Badezimmer erst am nächsten Morgen entdeckten...

Dienstag, 11. August 2009

Tagesablauf

Samstag, 8. August 2009
Mulund East


Zwar bin ich mit ziemlich sicher, dass es nicht viele solcher „normalen“ Tage geben wird. Da nun aber mein College begonnen hat, kann ich mir zusammenreimen, wie so ein Tagesablauf ohne Special Events aussehen würde.

Gegen neun Uhr, wenn ich mich ausgeschlafen fühle und die Putzhilfe durch mein Zimmer wischt – schnell, worlos, nicht sonderlich effektiv – stehe ich auf. Ich dusche das Badezimmer nass und frühstücke Cornflakes mit Milch (Fettstufe Sahne) oder Gemüse mit Chapati (Indischem Brot).
Das College beginnt um 12.10 Uhr; die Zeit, bevor ich mit Shamla, meiner Gastmutter, oder bald vielleicht mit einer Mitschülerin den Wohnblock verlasse und mich zu Fuß auf den Weg zum College mache, kann ich also noch sinnvoll nutzen: Ich packe meinen Ranzen, höre Musik, schreibe an Berichten, sehe mit Shamla fern, lerne etwas Hindi oder klimpere auf der Gitarre herum. Aniket, mein Gastbruder, hat mir nämlich vor seiner Abreise nach Deutschland ein paar Akkorde beigebracht, mit denen ich jetzt „Hotel California“ oder „My Immortal“ schreddern kann.

Wir sind ganz genau drei Ausländer am Kelker-College für Künste, Wissenschaften und Kommerz. Die Mexikanerin Adriana und der Kanadier Keegan wurden vom Rotary-Club in Mulund West aufgenommen, während ich im Rorary Club Mulund East weile. Wir haben uns auf einem der Rotary-Treffen schon gesehen und kommen gut miteinader aus. Besonders für Adriana, die kaum Englisch spricht, ist es ein großes Glück, dass ich auch mit ihr Spanisch reden kann, so übe ich mich nicht selten im Übersetzen. Ganz schön kompliziert in Deutsch zu denken und gleichzeitig Spanisch in Englisch umzuwandeln, oder umgekehrt!
Als wir heute den Klassenraum betraten, waren natürlich alle Augen auf uns gerichtet. Der Raum, etwa doppelt so groß wie der meiner Klasse an der Alfred-Delp-Schule, beinhaltet eine Art Bühne mit einem Holzpult, eine Tafel dahinter und etwa 50 fest installierte Holztische mit Holzbänken dahinter. Man sitzt zu zweit an einem Tisch, dessen Ausrichtung schon ganz klar den Unterrichtsstil vorgibt: Frontalunterricht ist an der Tagesordnung. Wie in der Grundschule werden hier ganze Seiten diktiert, nachdem das Thema von der Lehrerin/dem Lehrer erläutert worden ist. Ohne Fünfminutenpause folgt eine 40minütige Unterrichtseinheit der nächsten, bis es um 14.10 Uhr zu einer 30minütigen Mittagspause klingelt. Abgesehen von Sport Freitag und Samstag morgens haben wir sieben verschiedene Fächer: Politik, Sozialkunde, Ökonomie, Englisch, Psychologie, Französisch und Umweltschutzkunde. Alle 30 fünfzehn- bis sechzehnjährigen Mädchen und 10 Jungs in unserer Klasse sind freundlich und hilfsbereit, wenn auch ziemlich schüchtern. Ehrlichgesagt habe ich mir die Altersgruppe etwas anders vorgestellt. Naja!
In der großen Pause hatten Adriana und ich heute ein dringendes Bedürfis nach dem „Washroom“. Dieser bietet allerdings nur indische Toiletten, mit anderen Worten: Löcher mit Rutschfesten Flächen links und rechts, auf denen die Füße Platz haben. Der Boden ist immer nass, denn anstatt Papier gibt es nur einen zu klein ausgefallenen Gartenschlauch für alle, die sich gerne mit Wasser und der linken Hand säubern. Zum Glück hatte ich eine Packung Taschentücher dabei.
In der Kantine gibt es Sanwiches, Chips und Indische Gerichte. Danach ging es uns wieder gut.
Nach der sechsten Stunde, die um 16.40 Uhr endet, sind Adriana, Keegan und ich heute zu Fuß den etwa 20minütigen Weg zu meiner Gastfamilie angetreten. Die neugierigen Blicke werden mit allergrößter Sicherheit bis zum Tag unserer Rückkehr an uns kleben bleiben; sei es auf dem Hin- oder Rückweg, im College selbst oder an irgendeinem anderen Ort hier in Indien. Besonders ich fühle mich ein paar Nummern zu groß und ein paar Nuancen zu hell geraten. Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir überall angestarrt, aber kaum angesprochen worden sind. Ich habe das Gefühl, dass meine Eigeninitiative hier mehr denn je gefragt ist; Adriana und Keegan haben sich in der Hinsicht Leute Ansprechen jedenfalls voll darauf verlassen.

Nachmittags habe ich Yoga. 18.30 Uhr sammeln sich etwa 10 Frauen mittleren Alters im zweiten Stock eines Gebäudes zusammen, das von außen ziemlich alt und schmutzig erscheint, im Inneren jedoch ganz gemütlich gestaltet ist. Der Übungsraum ist in freundlichen, einladend hellen Farbtönen gehalten; an einer Wand ist ein großes „Om“, natürlich in Hindischrift, aufgemalt und reichlich verziert. Außer einem Stuhl für die Leiterin und den vielen Ventilatoren an der Decke gibt es keine Möbel. Jede Teilnehmerin bringt ein Handtuch mit oder kleine Teppiche. Dann geht es los: Mit einer beruhigenden und doch lauten Stimme gibt die Leiterin Anweisungen, Erklärungen für verschiedene Übungen oder rezitiert spirituelle Textstellen – alles auf Hindi. Atem-und Dehnübungen folgen dem „Om“ Meditieren und einer sportlichen Einheit, die aus einer immer gleichen Abfolge zwölf bestimmter Haltungen besteht. Dabei steht man anfangs in der Namaste-Position, beide Handflächen aufeinandergelegt, Füße beieinander, bei Position fünf liegt man bäuchlings auf dem Boden um kurz darauf wieder kerzengerade dazustehen.
Den Verlauf der Übungen begleitend ist Straßenlärm zu hören, Hundebellen und immer wieder die Anweisungen der Leiterin. Ab und zu übersetzt sie sie für mich ins Englische. Ansonsten muss ich mir die Disziplinen abschauen; hinderlich ist dabei, dass nahezu jede Dehnübung mit geschlossenen Augen erfolgen soll. Ich muss mich eben mit dem Hindilernen beeilen!

Mit einer Rickshaw oder zu Fuß trete ich den Heimweg an. Jeden Abend gibt es ein reichhaltiges Abendessen, das ich dazu nutze, mich an scharfes Essen mehr und mehr zu gewöhnen. Oft esse ich Gemüse mit Joghurt, dazu Chapati oder Reis. Die Zeit bevor sich jeder zur Nachtruhe zurückzieht wird mit gemütlichem Kartenspielen, fernsehen oder einfach nur Beisammensein verbracht. Die Zimmertüren der Wohnung stehen sowieso tagsüber ständig offen. Wenn ich wollte, könnte ich auch allein sein – ich müsste nur meine Zimmertür schließen und niemand würde mich stören. Doch anders als erwartet genieße ich die Indische Geselligkeit und setze mich eher in das Zimmer meiner Gasteltern, wo sich oft auch mein Gastbruder aufhält, als in meinem eigenen Zimmer zu bleiben.

Liege ich nachts auf dem harten Bett, höre ich dem andauernden Straßenlärm zu. Mittlerweile weiß ich tiefe, bollernde Geräusche Lastwagen, beinahe angenehmes Rauschen PKWs und motorradähnliches Knattern Rickshaws zuzuordnen. Als seien auch sie müde vom wuseligen Tag, stellen sie das Hupen in allen Tonlagen nun fast vollständig ein. Der Ventilator an meiner Zimmerdecke, der weder am Tag noch nachtsüber stillsteht, fächelt mir eine wohltuende Brise ins vom Moskitospray klebende Gesicht. Der morgige Tag liegt vor mir wie ein noch schneeweißes Papier, das nur darauf wartet, mit lauter bunten Eindücken freudig verschönert zu werden. Noch! Ich rieche an meinem Cortisoltaschentuch und lächele bei dem Gedanken, ein Stück zu Hause in den Händen zu halten

Montag, 3. August 2009

"Pooja"

Freitag, 31. Juli 2009
Badlapur

Bisher war mir „Pooja“ nur als der Name einer meiner zukünftigen Gastschwestern bekannt. Heute habe ich die Ehre, bei dem gleichnamigen Ritual teilzunehmen.
Es hieß, die Pooja solle um 16 Uhr beginnen. So machten sich mein Gastbruder Aniket und meine Gasteltern am Vormittag auf den Weg nach Badlapur, zum Haus der Großmutter Umaji, wo wir auch schon den 14. Juli, meinen und ihren Geburtstag, verbracht hatten (siehe unten). Nach der herzlichen Begrüßung gab es erstmal Essen. Aniket jedoch, der später noch eine wichtige Rolle bei den Festlichkeiten einnehmen sollte, durfte bestimmte Dinge nicht essen – man kann auch sagen, es blieb ihm nichts außer „Sabudana Ki Khichidi“; helle, perlengroße Kügelchen und „Thalipeed“; kleine, scharfe Pfannkuchen. Vor einer Pooja fastet man nämlich („Upas“) und diese beiden Gerichte gehören zum „Upas“-stuff, wie mir Aniket erklärt.
Ich konnte derweil eine mir bisher völlig unbekannte Frucht kennenlernen. Sie wird „Sita Fal“ genannt, ist apfelsinengroß, sieht ein Bisschen aus wie eine Artischocke, ist aber so weich, dass man sie ohne Kraftaufwand auseinanderbrechen kann. Sie lässt sich wie eine Kiwi auslöffeln. Übrig bleiben schwarze, glatte Kerne und die weiche, brüchige Schale. Über den Geschmack kann ich nur sagen: süß, etwas bananig, äußerst lecker.
Über das Warten auf 16 Uhr schlief ich ein. Haben Inder Zeit, so ist es für sie das Normalste der Welt, einfach mal nichts zu tun. Man schlendert im Haus herum, sitzt oder liegt, sieht fern, döst und hört, zumindest in diesen Monaten, dem prasselnden Regen zu. Für viele Aktivitäten ist es einfach zu schwül. Betritt man einen Raum, so schaltet man zuallererst den Ventilator an, der hier beinahe so wichtig ist, wie eine Glühbirne bei Dunkelheit. Oder etwa noch wichtiger – der Ventilator bleibt über Nacht angeschaltet!
Als ich aufwachte, war war unsere Gemeinschaft um weitere Familienmitglieder und einem Badjhi (hindischen Priester) reicher geworden. Es war 16.30 Uhr. Langsam kamen die Vorbereitungen für das Ritual in den Gang: Auf einer schmalen Anhöhe, einer art Altar, wurden Früchte, farbiges Pulver, Reis, Wasser, Milch, kleine Messingfigürchen und jede Menge bunte Blüten bereitgestellt und alle anwesenden Frauen legten ihre leuchtend bunten Saris an. Meine Saribluse ist leider noch bei der Schneiderin, bis zur nächsten Festlichkeit ist sie aber bestimmt fertig.
Mit einer Indischen Verspätung von einer vollen Stunde setzten sich der Badhji und Aniket auf kleine Teppiche gleich neben den Altar. Der alte Mann begann mit einer Art Sprechgesang, der zwischendurch von Anweisungen an Aniket unterbrochen wurde. Dieser hatte die Aufgabe, alles auf traditionelle Art und Weise an die richtige Stelle zu bringen: Räucherstäbchen wurden angezündet, Statuen wurden begossen und mit Blumen und Reis bestreut; auf einem Silberteller mit Reis und Holzkugeln, symbolisch für das Universum und die Planeten, wurden Blüten und andere Gräser aufgetürmt,... Immer wieder ließ sich Aniket frisches Wasser aus einem Bronzekrug über die Hände laufen, was ihn zwischen all den Versen sichtlich erfrischte. Dies alles geschah begleitet von Handygeräuschen, Türklingeln, Kommen und Gehen von Verwandten und Bekannten, deren Unterhaltungen mal im Flüsterton, mal lautstark. Ungerührt singt der Badjhi weiter, zwinkert in die Kamera, blickt freundlich in die Runde. Ich höre seiner klaren Stimme zu und staune über die Geschwindigkeit der Worte. Dass diese weder Hindi noch Marathi zuzuordnen sind, sondern Sanskrit, erfuhr ich erst später. (Hindi, Marathi und alle anderen indischen Sprachgruppen stammen von Sanskrit ab wie alle Romanischen Sprachen vom Lateinischen.)
Als jedes Element seinen richtigen Platz eingenommen hatte, gab es eine Pause. Nein, nicht etwa der Badhji brauchte ein Glas Wasser und ein Bisschen Bewegung – nach zwei Stunden bat Aniket um eine kurze Erfrischung.
Es ging weiter mit Sagen und Geschichten, es wurde gesungen und Aniket wurde, wie ich es von Hochzeiten her kenne, mit Reis beworfen. Zuletzt gab jeder Anwesende eine Blume auf den Altar und bekam einen Tropfen Milch und einen süßen Brei in die rechte Hand. „Eat!“ ist die Devise.
Es ist nun 20 Uhr. Man sitzt gemeinsam in Wohnzimmer und plaudert, isst, lacht. Mein Gastvater gibt mir ein Resumen der eben gehörten Geschichten mit der Moral: Das Praktizieren von Poojas bringt Glück, es wissentlich und willentlich zu unterlassen bringt Unglück; das Wichtigste aber ist – ob nun in Indien oder Deutschland – ein unumstößliches Gottvertrauen.

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Rotary-Austauschschülerin nach Mumbai