Dienstag, 11. August 2009

Tagesablauf

Samstag, 8. August 2009
Mulund East


Zwar bin ich mit ziemlich sicher, dass es nicht viele solcher „normalen“ Tage geben wird. Da nun aber mein College begonnen hat, kann ich mir zusammenreimen, wie so ein Tagesablauf ohne Special Events aussehen würde.

Gegen neun Uhr, wenn ich mich ausgeschlafen fühle und die Putzhilfe durch mein Zimmer wischt – schnell, worlos, nicht sonderlich effektiv – stehe ich auf. Ich dusche das Badezimmer nass und frühstücke Cornflakes mit Milch (Fettstufe Sahne) oder Gemüse mit Chapati (Indischem Brot).
Das College beginnt um 12.10 Uhr; die Zeit, bevor ich mit Shamla, meiner Gastmutter, oder bald vielleicht mit einer Mitschülerin den Wohnblock verlasse und mich zu Fuß auf den Weg zum College mache, kann ich also noch sinnvoll nutzen: Ich packe meinen Ranzen, höre Musik, schreibe an Berichten, sehe mit Shamla fern, lerne etwas Hindi oder klimpere auf der Gitarre herum. Aniket, mein Gastbruder, hat mir nämlich vor seiner Abreise nach Deutschland ein paar Akkorde beigebracht, mit denen ich jetzt „Hotel California“ oder „My Immortal“ schreddern kann.

Wir sind ganz genau drei Ausländer am Kelker-College für Künste, Wissenschaften und Kommerz. Die Mexikanerin Adriana und der Kanadier Keegan wurden vom Rotary-Club in Mulund West aufgenommen, während ich im Rorary Club Mulund East weile. Wir haben uns auf einem der Rotary-Treffen schon gesehen und kommen gut miteinader aus. Besonders für Adriana, die kaum Englisch spricht, ist es ein großes Glück, dass ich auch mit ihr Spanisch reden kann, so übe ich mich nicht selten im Übersetzen. Ganz schön kompliziert in Deutsch zu denken und gleichzeitig Spanisch in Englisch umzuwandeln, oder umgekehrt!
Als wir heute den Klassenraum betraten, waren natürlich alle Augen auf uns gerichtet. Der Raum, etwa doppelt so groß wie der meiner Klasse an der Alfred-Delp-Schule, beinhaltet eine Art Bühne mit einem Holzpult, eine Tafel dahinter und etwa 50 fest installierte Holztische mit Holzbänken dahinter. Man sitzt zu zweit an einem Tisch, dessen Ausrichtung schon ganz klar den Unterrichtsstil vorgibt: Frontalunterricht ist an der Tagesordnung. Wie in der Grundschule werden hier ganze Seiten diktiert, nachdem das Thema von der Lehrerin/dem Lehrer erläutert worden ist. Ohne Fünfminutenpause folgt eine 40minütige Unterrichtseinheit der nächsten, bis es um 14.10 Uhr zu einer 30minütigen Mittagspause klingelt. Abgesehen von Sport Freitag und Samstag morgens haben wir sieben verschiedene Fächer: Politik, Sozialkunde, Ökonomie, Englisch, Psychologie, Französisch und Umweltschutzkunde. Alle 30 fünfzehn- bis sechzehnjährigen Mädchen und 10 Jungs in unserer Klasse sind freundlich und hilfsbereit, wenn auch ziemlich schüchtern. Ehrlichgesagt habe ich mir die Altersgruppe etwas anders vorgestellt. Naja!
In der großen Pause hatten Adriana und ich heute ein dringendes Bedürfis nach dem „Washroom“. Dieser bietet allerdings nur indische Toiletten, mit anderen Worten: Löcher mit Rutschfesten Flächen links und rechts, auf denen die Füße Platz haben. Der Boden ist immer nass, denn anstatt Papier gibt es nur einen zu klein ausgefallenen Gartenschlauch für alle, die sich gerne mit Wasser und der linken Hand säubern. Zum Glück hatte ich eine Packung Taschentücher dabei.
In der Kantine gibt es Sanwiches, Chips und Indische Gerichte. Danach ging es uns wieder gut.
Nach der sechsten Stunde, die um 16.40 Uhr endet, sind Adriana, Keegan und ich heute zu Fuß den etwa 20minütigen Weg zu meiner Gastfamilie angetreten. Die neugierigen Blicke werden mit allergrößter Sicherheit bis zum Tag unserer Rückkehr an uns kleben bleiben; sei es auf dem Hin- oder Rückweg, im College selbst oder an irgendeinem anderen Ort hier in Indien. Besonders ich fühle mich ein paar Nummern zu groß und ein paar Nuancen zu hell geraten. Bisher habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir überall angestarrt, aber kaum angesprochen worden sind. Ich habe das Gefühl, dass meine Eigeninitiative hier mehr denn je gefragt ist; Adriana und Keegan haben sich in der Hinsicht Leute Ansprechen jedenfalls voll darauf verlassen.

Nachmittags habe ich Yoga. 18.30 Uhr sammeln sich etwa 10 Frauen mittleren Alters im zweiten Stock eines Gebäudes zusammen, das von außen ziemlich alt und schmutzig erscheint, im Inneren jedoch ganz gemütlich gestaltet ist. Der Übungsraum ist in freundlichen, einladend hellen Farbtönen gehalten; an einer Wand ist ein großes „Om“, natürlich in Hindischrift, aufgemalt und reichlich verziert. Außer einem Stuhl für die Leiterin und den vielen Ventilatoren an der Decke gibt es keine Möbel. Jede Teilnehmerin bringt ein Handtuch mit oder kleine Teppiche. Dann geht es los: Mit einer beruhigenden und doch lauten Stimme gibt die Leiterin Anweisungen, Erklärungen für verschiedene Übungen oder rezitiert spirituelle Textstellen – alles auf Hindi. Atem-und Dehnübungen folgen dem „Om“ Meditieren und einer sportlichen Einheit, die aus einer immer gleichen Abfolge zwölf bestimmter Haltungen besteht. Dabei steht man anfangs in der Namaste-Position, beide Handflächen aufeinandergelegt, Füße beieinander, bei Position fünf liegt man bäuchlings auf dem Boden um kurz darauf wieder kerzengerade dazustehen.
Den Verlauf der Übungen begleitend ist Straßenlärm zu hören, Hundebellen und immer wieder die Anweisungen der Leiterin. Ab und zu übersetzt sie sie für mich ins Englische. Ansonsten muss ich mir die Disziplinen abschauen; hinderlich ist dabei, dass nahezu jede Dehnübung mit geschlossenen Augen erfolgen soll. Ich muss mich eben mit dem Hindilernen beeilen!

Mit einer Rickshaw oder zu Fuß trete ich den Heimweg an. Jeden Abend gibt es ein reichhaltiges Abendessen, das ich dazu nutze, mich an scharfes Essen mehr und mehr zu gewöhnen. Oft esse ich Gemüse mit Joghurt, dazu Chapati oder Reis. Die Zeit bevor sich jeder zur Nachtruhe zurückzieht wird mit gemütlichem Kartenspielen, fernsehen oder einfach nur Beisammensein verbracht. Die Zimmertüren der Wohnung stehen sowieso tagsüber ständig offen. Wenn ich wollte, könnte ich auch allein sein – ich müsste nur meine Zimmertür schließen und niemand würde mich stören. Doch anders als erwartet genieße ich die Indische Geselligkeit und setze mich eher in das Zimmer meiner Gasteltern, wo sich oft auch mein Gastbruder aufhält, als in meinem eigenen Zimmer zu bleiben.

Liege ich nachts auf dem harten Bett, höre ich dem andauernden Straßenlärm zu. Mittlerweile weiß ich tiefe, bollernde Geräusche Lastwagen, beinahe angenehmes Rauschen PKWs und motorradähnliches Knattern Rickshaws zuzuordnen. Als seien auch sie müde vom wuseligen Tag, stellen sie das Hupen in allen Tonlagen nun fast vollständig ein. Der Ventilator an meiner Zimmerdecke, der weder am Tag noch nachtsüber stillsteht, fächelt mir eine wohltuende Brise ins vom Moskitospray klebende Gesicht. Der morgige Tag liegt vor mir wie ein noch schneeweißes Papier, das nur darauf wartet, mit lauter bunten Eindücken freudig verschönert zu werden. Noch! Ich rieche an meinem Cortisoltaschentuch und lächele bei dem Gedanken, ein Stück zu Hause in den Händen zu halten

3 Kommentare:

  1. Ja, ich hab Fragen, auch wenn mein PC sich heute erhängen wollte...

    Zum einen wollte ich fragen, ob du normalerweise Fettarme Milch mit 1.5% Fett trinkst (ist die Milch vielleicht von Büffeln?).
    Dann noch, was ein Cortisoltaschentuch ist. Ich wüsste nicht, was ich damit anfangen sollte (Wundverband?).

    Ich weiß immer noch nicht, wie ich deine Bilder in Groß sehen kann :(.

    Wenn du Zeit hast, antworte mir doch mal...

    Mit den Besten Wünschen,
    hab dich lieb,
    Konsti

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  2. Hi auch!
    Bei der Milch hier kann ich die Fettaugen auf der Oberflaeche zaehlen. Aber so weit ich weiss, ist es normale Kuhmilch.
    Cortisol ist eine wohlriechende Fluessigkeit, die mir meine allerliebste Mutter mit auf die Reise gegeben hat. Kann man in der Aphoteke kaufen. Ist sehr hilfreich, wenn man in stinkende Stadtteile geraet.
    Bilder: Geh mal in Facebook!
    Viele Gruesse :-)

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  3. Hey du zu groß, zu hellhäutig und zu blond geratene Inderin,
    ich würde mich freuen, wenn du auch ein paar Bilder von deiner lebhaften Umgebung machen würdest, bis jetzt kenn ich ja nur deine Beschreibungen...
    Wie wäre es mit einem Photo von den Fettaugen auf der Milch ;)
    Ich hab deine Bilder im Facebook jetzt ja schon gesehe (und auch die anderer Austauschschüler, auf denen du markiert wurdest) (ich würde nicht behaupten, dass ich in diesem Sozialen Fischernetz nich oft genug hängen bleibe...), aber ich wollte die Bilder hier links in einer ähnlichen Größe sehen...
    Mach's gut!

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Rotary-Austauschschülerin nach Mumbai